In den letzten Monaten haben die Feuilletons der großen deutschen Blätter, veranlaßt durch den im Bundeskanzleramt erfolgten Tausch eines Gemäldes von Emil Nolde gegen ein solches von Karl Schmidt-Rottluff, sich die Frage nach einer eventuellen Übereinstimmung nationalsozialistischer Weltanschauung und inhaltlichen Botschaften expressionistischer Malerei gestellt. Zwar landete der Expressionismus in den Folgejahren auf der Indexliste der nationalsozialistischen Kulturpolitik, in den Anfangsjahren des Systems bestand aber durchaus bei Mitgliedern der intellektuellen Elite des Nationalsozialismus ein Gefühl der Kongruenz eigener Weltanschauung und expressionistischer Bildaussagen, in denen sich für sie nordisches Menschentums zu artikulieren schien. Im Sommer 1933, ein halbes Jahr nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, eröffnete der NS Studentenbund in der Reichshauptstadt eine Ausstellung deutscher Expressionisten unter dem Titel "30 deutsche Künstler". Aufgrund des Protestes des NS "Kampfbundes für deutsche Kultur" wurde die Ausstellung wieder geschlossen, aber, offenbar auf Druck von oben, bald darauf erneut eröffnet. Von Emil Nolde wissen wir inzwischen aus seiner Korrespondenz, dass er überzeugter Nationalsozialist und Antisemit war. Dennoch wurden seine Werke als "Entartete Kunst" verdammt, was für Nolde nach Kriegsende wie ein Ritterschlag gewirkt hat. Als man jetzt im Kanzleramt Nolde durch den vermeintlich politisch korrekten Schmidt-Rottluff ausgetauscht hat, wurden auch von ihm antisemitische Äußerungen bekannt, die in heutigen Ohren unerträglich klingen. Damit taucht eine weitere Frage auf, die sich die Feuilletons ebenfalls heute stellen. Kann man das Werk vom Künstler trennen? Kann ein Kunstwerk groß sein, wenn es moralisch inkorrekt ist? Ein spannendes Thema, insbesondere für uns Deutsche, die manche ausländische Beobachter inzwischen für die Moralapostel Europas halten. Im Augenblick laufen in Berlin zwei Ausstellungen. Man sollte sie sich anschauen, wenn man beim Thema bleiben möchte.